Autor: Birgit Müller
Seit über fünfundzwanzig Jahren lebe ich in und um München und war in den letzten zwölf Jahren – d.h. von Juli 2006 bis 31.12.2018 – für Fa. Linde AG Engineering Division tätig, aber geboren und aufgewachsen bin ich in einem abgeschiedenen Dorf am Rande dichter Wälder. Da meine Eltern ganztags in Vollzeit berufstätig waren und es in einem Umkreis von zwei Kilometern keine gleichaltrigen Spielgefährten gab, war ich mir in meiner Kindheit und Jugend zum Großteil selbst überlassen. Bücher und Fernsehsendungen waren meine Verbindung zur Welt, lockten mich früh hinaus ins Weite, in die Ferne.
Zu meinen frühesten Fernseherinnerungen zählen die Masten, Taue und Segel eines Schiffes, das sich im Sturm durch die aufgewühlte See kämpft, ein Bild, das vermutlich dem „Seewolf“ oder der „Schatzinsel“ entspringt. Als Jugendliche verschlang ich mit Begeisterung alte Seefahrtsromane wie „Jack Holborn“ von Leon Garfield, „Moby Dick“ von Herman Melville, vor allem aber den „Hornblower“-Zyklus von C.S. Forester. Ich hing nicht nur den geschilderten Begebenheiten und Abenteuern, sondern den Schiffen und dem Bordalltag selbst nach und verdanke es Forester und dem Glossar im Anhang seiner Bücher, dass ich bis heute den Aufbau eines Dreimast-Rahschoners und seine Masten, Rahen, Segel und Taue kenne. Als ich viele Jahre später in Hamburg die „Rickmer Rickmers“, in Lübeck die „Missisippi“ und in Travemünde die „Passat“ inspizierte, fand ich die Bilder, die ich von diesen Schiffen im Kopf hatte, nahezu deckungsgleich von der Wirklichkeit bestätigt.
Beim Lesen kam mir seinerzeit der Gedanke: „Wie, wenn sich ein paar Mädchen aus einem Pensionat die Idee in den Kopf setzen, sich ein Schiff zu schnappen und in See zu stechen? Jungs dürfen zur See fahren, Abenteuer erleben und Kapitän werden, und was dürfen Mädchen? Heiraten und Kinder kriegen. Sowas von langweilig und öde!“ Damals, als meine ersten Skizzen entstanden, war ich etwa dreizehn Jahre alt.
Zwischen meinem sechzehnten und zwanzigsten Lebensjahr studierte ich im Rahmen meiner Ausbildung zur Fremdsprachenkorrespondentin und Übersetzerin in Coburg und Erlangen auch die britische und europäische Zeit- und Kulturgeschichte. Abgesehen vom Unterricht in Landeskunde lag damals der Schwerpunkt auf dem 18. und frühen 19. Jahrhundert, wodurch meine Idee immer mehr Gestalt und Farbe annahm. In diesem Zeitraum entstand die Urfassung meines Romans auf der guten alten Speicherschreibmaschine, die ich einige Male kopieren und binden ließ und nur wenigen auserwählten Freundinnen schenkte.
Über zwanzig Jahre später fragte mich eine dieser Freundinnen, ob ich noch ein Exemplar meines Buches hätte. Das hatte ich: mein gebundenes und gedrucktes Originalmanuskript. Also hämmerte ich alle 350 DIN A4-Seiten noch einmal herunter, um sie auf mehreren USB-Sticks zu speichern und nicht mehr Gefahr zu laufen, mein geistiges Eigentum zu verlieren. Während ich tippte, redigierte und korrigierte ich zugleich emsig an meinem Werk, stellte fest, dass sein Gehalt, seine zentralen Aussagen, seine Charaktere und deren Beziehung zueinander immer noch Bestand hatten, und empfand dieselbe Freude und Begeisterung wie damals, als ich es zu Papier gebracht hatte.
Im Grunde ist meine Roman-Trilogie „Die Seehexe – Die Legende der Lady Grey“, die mit dem ersten Band „Die Loge der 70“ beginnt, ein Salut vor den Seefahrern meiner Jugend und gleichermaßen eine nicht ganz ernstzunehmende Parodie auf ihre Sitten, Gebräuche und Marotten, verbunden mit einer durch nichts zu erschütternden Freundschaft und einer in mancherlei Hinsicht ungewöhnlichen Liebesgeschichte.