Autor: Elke Sohler
Am 24. Juni 1964 kam ich in einem kleinen Dorf in Ostfriesland als drittes von vier Kindern zur Welt. Ich wuchs wohlbehütet in einer sehr streng-religiösen Familie auf. Gott war für mich jemand, vor dem ich Angst hatte und der mich ständig kritisch beobachtete, und die Engel waren dabei seine Helfer.
Ich lernte: Wenn jemand stirbt, ist er weg. Verschwun-
den. Irgendwann in ferner Zukunft würde ich die Person im Paradies wiedersehen. Wenn jemand sich das Leben genommen hatte, war es anders. Da wusste man es nicht so genau.
Als erwachsene Frau fand ich den Mut, mich aus den religiösen Verstrickungen der Kindheit zu lösen und begann, meinen ganz eigenen spirituellen Weg zu entdecken.
Heute gehöre ich keiner Religionsgemeinschaft mehr an, fühle mich jedoch gleichzeitig so verbunden mit allem, was ist, wie nie zuvor in meinem Leben. Der Tod meiner Tochter hat das, was ich zuvor theoretisch zu wissen glaubte, erfahrbar gemacht. Mein größter Schmerz wurde meine größte Gelegenheit, mein eigenes spirituelles Sein kennenzulernen. Die Unendlichkeit und Größe eines jeden Wesens wurde mir bewusst. Wir sind keine Menschen, die eine Seele haben, sondern unendliche Wesen, die eine irdische Erfahrung machen. Auch erfuhr ich, dass die Liebe die stärkste Transformationskraft für allen Schmerz besitzt. Und was konnte mir eine größere Lektion in bedingungsloser Liebe sein, als ein Kind, das freiwillig aus dem Leben ging?
Die Bedingung, die ich bis dahin an meine Liebe zu ihr geknüpft hatte, ihre physische Anwesenheit, war nicht mehr gegeben. Der Tag, an dem ich entdeckte, dass ich sie einfach weiterlieben konnte und durfte, war der Tag, der einen Wendepunkt auf meinem Trauerweg kennzeichnete. Das war der Tag, an dem mein Herz begann zu heilen und meine Versöhnung mit ihrem frühen Tod greifbar wurde.
Mein sehnlichster Wunsch ist es, denen, die nach Erleichterung in ihrem Schmerz suchen, neue Wege zu zeigen. Der Weg der Trauer ist in jedem Fall schmerzhaft. Aber er muss nicht verzweifelt, dunkel und schwer bleiben. Er kann auch ein Weg der Liebe und einer neuen Verbin-dung zu unserem Kind sein.