Autor: Irina Knorring
„Schreib ich weiter Reime, Verse? / Weiß es nicht, mein Herz, es kämpft, / Hat doch deine Stimme gestern / Meinen Mut zu sehr gedämpft!“ Wer sich dies, am 7. Februar 1926 in Paris nach einer Lesung von Marina Zwetajewa, fragt, ist eine Frau in ihrem zwanzigsten Lebensjahr, die selber seit ihrer frühesten Jugend Gedichte schreibt und einige schon veröffentlicht hat. Sie heißt Irina Knorring und lebt mit ihren Eltern seit wenigen Monaten in Paris, wohin sie über etliche Stationen und Umwege, nach einer abenteuerlichen Flucht durch und aus Russland, gelangt ist. Sicherlich, wird sie sich gedacht haben, mit Marina Zwetajewa kann ich es nicht aufnehmen, aber Gedichte schreibe ich doch. Habe ich doch so viel zu sagen, habe ich doch schon so viel erlebt.
Geboren wurde Irina Nikolajewna Knorring (1906-1943) im Dorf Elschanka im Gouvernement Samara, auf dem Gutsbesitz der Familie. Die Familie des Vaters entstammte dem alten baltischen Adels- geschlecht der Freiherren von Knorring,
das schon mehrere russische Generäle
hervorgebracht hatte. Nikolai Knorring hatte die historisch-philologische Fakultät der Universität Moskau besucht und wurde bald nach der Geburt von Irina als Gymnasiumsdirektor nach Charkow berufen, wo die Familie bis November 1919 wohnte. Dort besuchte Irina das Mädchengymnasium. Mit elf Jahren begann sie ein Tagebuch und erste, formal wie inhaltlich schon erstaunlich gute Gedichte zu schreiben. Der Einfluss von Lermontow auf das frühreife Mädchen ist dabei unverkennbar.
Krieg und Revolutionswirren bewirkten, dass sie in ihren Gedichten schon bald einen düsteren Ton anschlägt; dieser Grundton wird viele Ihrer Gedichte charakterisieren, auch wenn Freunde und ihre Mutter bestätigen, dass Irina trotz der vielen Schicksalsschläge
zeitlebens eine fröhliche, im Grunde lebenslustige Frau war. In einem späten, witzigen Gedicht über eine erträumte Fahrradtour wird dies besonders klar ersichtlich: „Und im schönsten Luftgebilde/
Zeichnest du den schönsten Weg“, heißt es dort. Der Weg, den Irina Knorring aber gehen musste, war ein dorniger, steiniger, gezeichnet von Armut, Krankheit und Heimatlosigkeit.
Ihr idyllisches Mädchenleben beendeten der Krieg und der „rote Terror des frühen Bolschewismus“, wie sich ein Kritiker ausdrückt. Der Vater sah sich gezwungen, Charkow zu verlassen. Über mehrere Stationen gelangte die Familie auf ihrer Irrfahrt durch Südrussland und den Nordkaukasus auf die Halbinsel Krim, zuerst nach Kertsch, dann nach Simferopol, wo Nikolai kurze Zeit an der Taurischen Universität arbeitete, zuletzt nach Sewastopol. An einen regelmäßigen Schulunterricht war dabei nicht zu denken. Die täglichen Sorgen, der Kampf ums nackte Überleben, ließen auch keine Zeit, keine Muße dazu. Am 12. November 1920 gelang es der Familie, auf dem Dampfer „General Alexejew“ aus Russland zu fliehen. Der Weg ging über Istanbul nach Biserta, der Hafenstadt im Norden des damals französischen Protektorats Tunesien, in der eine kleine russische Kolonie lebte. Dort in der Nähe, in der Schule des Marinekorpus von Sfaiat, an der ihr Vater „Russische Kultur“ unterrichtete, konnte Irina ihre Studien bis zur Reifeprüfung fortsetzen. Auch wenn es schwierige Jahre waren, die sie damals nicht genug zu schätzen wusste (es sollten noch schwerere folgen!),
erinnert sich Irina gerne an ihre Zeit in Nord-
afrika, ihrer „zweiten
Heimat“.
Im Mai 1925 übersiedelte die Familie nach Paris, wo sie stets in Not und Armut gelebt hat. Nikolai Knorring, der ehrenamtlich in verschiedenen russischen Komitees und als Bibliothekar der Turgenjew-Bibliothek beschäftigt war, gelang es mit den spärlichen Honoraren für Zeitungs- und Zeitschriftenartikel nicht, die Familie zu ernähren. Die Mutter arbeitete in einer Parfumfabrik und versuchte, zusammen mit ihrer Tochter, mit Häkel- und Strickarbeiten ihren mageren Verdienst aufzubessern. Auch Irina war zeitweise in einer Fabrik beschäftigt.
In Paris besucht Irina Kurse an der Sorbonne, an der Russischen Volksuniversität und am Franko-Russischen Institut für Sozialwissenschaften. Sie nimmt teil an den Versammlungen
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